Abgeschlossene Grabungen

11. Csokorgasse

Eine Ansiedlung der älteren Urnenfelderkultur im Nahbereich der Donau

Im Südosten von Wien führt die Simmeringer Hauptstraße als große, wahrscheinlich bereits zur Zeit der römischen Besiedlung in seiner Orientierung bestehende, Ausfallstraße nach Osten. Nördlich des Zentralfriedhofs vorbei laufend überquert sie die zur Donau entwässernde Schwechat um, stets südlich der Terrassenkante und damit vor Hochwasser geschützt, als Hainburger Bundesstraße bis nach Petronell, dem römischen Carnuntum, zu führen. 

Direkt an der Stadtgrenze Wiens zweigt die Csokorgasse von der Simmeringer Hauptstraße aus nach Norden ab, und der Weg führt leicht geschwungen über die Mühlsangergasse nach Kaiserebersdorf. 

Seit dem Jahr 1924 bringen baubegleitende archäologische Untersuchungen im Bereich Csokorgasse – Mühlsangergasse Spuren intensiver spätbronzezeitlicher Siedlungstätigkeit zutage. Die Stadtarchäologie Wien, unter Leitung von UD Dr. O. Harl arbeitet im Rahmen eines Projektes die zahlreichen Fundstellen auf, um Aussagen über Art, Dauer und Ausdehnung der Ansiedlung im Nahbereich der Donau treffen zu können. 

Das Gelände im Bereich der Csokorgasse – Mühlsangergasse fällt sanft nach Nordosten ab. Die Seehöhe nahe der Simmeringer Hauptstraße beträgt 171 m und erreicht 1.2 km weiter nördlich in Kaiserebersdorf noch Werte von 157 m. Im Norden bricht das Plateau der Friedhofsterrasse deutlich zur Praterterrasse hin ab. Von Süden in die Donau einfließend, stört das Alluvium der Schwechat den Schotterkörper der Terrasse westlich des Straßenzuges. Im Gebiet von Kaiserebersdorf trifft das trichterförmig erweiterte Mündungsgebiet der Schwechat auf die nach Süden schwenkende Mäander der Donau und bildet eine Bucht, an deren südwestlichen Ecke sich das urnenfelderzeitliche Siedlungsareal erstreckt. 
So liegen die Fundstellen am Rand einer mit Lößen und Lehmen bedeckten Hochterrasse. Sie wird im Süden durch die Liesing, im Osten durch die Schwechat und im Norden von der Donau begrenzt. In weitere Folge schließen im Süden das Quarzschotterhügelland, und weiter im Westen der Laaerbergzug mit Höhen bis 255 m an.

Die Fundstellen

1. Gräber 
Fundstelle 1, 2 und 3 im Bereich Csokorgasse/Simmeringer Hauptstraße
In den Jahren 1924 sowie 1935 und 1936 wurden im Zuge eines Kanalbaus im unteren Bereich der Csokorgasse in der Nähe der Simmeringer Hauptstraße die Reste von zumindest 5 Bestattungen geborgen. Die Gräber lagen über einen Bereich von mehr als 300 m Ausdehnung verstreut, wodurch man eine Vorstellung von der möglichen Größe des Friedhofareals erhält. In kurzfristig eingeleiteten Notgrabungen konnten neben diesen 5 Bestattungen Reste von möglicherweise 7 weiteren Grabinventaren, welche bereits den Bauarbeiten zum Opfer gefallen waren, gerettet werden. 

Die Gräber lagen am Rand des sich weiter nördlich erstreckenden Siedlungsareals. Mit großer Wahrscheinlichkeit wurden an dieser Stelle die Verstorbenen dieser Ansiedlung bestattet und mit für diese Zeit charakteristischen Grabbeigaben ausgestattet. 
Der Sitte gemäß wurde der Leichnam verbrannt und die Reste der Knochen und seiner Tracht wurden in einer Urne beigesetzt. Beigaben wie Gefäße und auch Speisen sollten den derart Bestatteten auch über den Tod hinaus versorgen.

2. Siedlung
Fundstelle 5-9 im Bereich Csokorgasse/Sängergasse
Nur wenige hundert Meter nördlich der urnenfelderzeitlichen Gräber wurden seit 1971 und verstärkt seit 1997 die Reste einer ausgedehnten Siedlung gefunden. 
Waren es im Jahre 1971 noch vereinzelte Gruben, welche von Teilen eines völkerwanderungszeitlichen Awarenfriedhofs überlagert worden waren, 
So stießen die Ausgräber im Jahr 1997 im Bereich westlich davon auf einen ausgedehnten Komplex von dicht beieinander liegenden zumeist seichten Gruben. 

Diese können als Speicher-/Vorratsgruben, Materialentnahmegruben zum Hausbau und Löcher von Holzpfosten von Gebäuden gedeutet werden. Es war allerdings nicht möglich, aus den erhaltenen Pfostenlöchern einen Hausgrundriss zu rekonstruieren.

3. Dreischiffiges Pfostenhaus und Siedlungsgrube
Fundstellen 10 und 11 im Bereich Mühlsangergasse/Ernst Heiss Gasse
1997 und 1998 wurden im Zuge kleiner Rettungsgrabungen weiter im Norden in der Mühlsangergasse Ecke Ernst Heiss Gasse 41 Pfostenlöcher freigelegt, die letzten Reste eines 12 m langen und etwa 4,5 m breiten dreischiffigen Langhauses. In solchen großen Gebäuden befanden sich zumeist neben dem Wohnbereich auch die Stallungen für Tiere und Speicherräume. 

In der unmittelbaren Umgebung des Hauses war 1997 eine Grube unbestimmter Funktion mit spätbronzezeitlicher Keramik geborgen worden. 

Fragestellungen
Die archäologische Auswertung des Fundmaterials soll neben der genauen zeitlichen und kulturellen Einordnung der Fundstelle auch Einblicke in die Wirtschaftsweise der ländlichen Bevölkerung nahe der Donau geben. Der Vergleich mit anderen Wiener Fundstellen der älteren Urnenfelderzeit soll Unterschiede und Gemeinsamkeiten der Siedlungen und der darin erhaltenen Funde aufzeigen und ergründen. 

Ein Schwerpunkt der Forschung liegt in der genauen Aufnahme der Keramikfragmente. Anders als bei Gräbern findet der Archäologe bei Ausgrabungen in Siedlungsarealen zumeist nur stark fragmentierte Gefäßreste, die zerbrochen und damit unbrauchbar geworden, als Abfall in die Gruben gelangten.
Vor allem anhand der Ränder ist es dem Archäologen möglich auf die Form der Gefäße zu schließen. Damit können Alter und Verwendung der Keramik ermittelt werden. Diese soll, mit statistischen Mitteln ausgewertet, die Nutzung der einzelnen Keramikformen beleuchten.
Über das Fundmaterial welcher als Abfall verworfen, auf uns gekommen ist, ist es weiterhin auch möglich über einen weiteren Aspekt des damaligen Lebens zu resümieren. Der Umgang mit Abfall. Eine besonders aktuelle Frage, bedenken wir den täglich wachsenden Müllberg einer Millionenstadt.
Anhand der Form und Lage der Gruben ist es möglich auf die Anlage und räumliche Organisation der Siedlung zu schließen. Da jeder Bodeneingriff einen bestimmten Zweck verfolgte, ist es so möglich, bei aller gebotenen Vorsicht soweit es sich im Boden manifestiert hat, die Art der im Siedlungsbereich vollzogenen Tätigkeiten zu beschreiben. 
Letztlich gibt die Anlage der Siedlung auf einen bestimmten Areal die Möglichkeit die Ansprüche der urnenfelderzeitlichen Bevölkerung an einen Siedlungsplatz zu formulieren, deren Änderung festzustellen, und in weiterer Folge zu ergründen.

Auftraggeber: Firma GEWOG